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AutorenbildAnja Pfeiffer

Die Kreisgrabenanlage von Goseck: Ältestes rekonstruiertes Sonnenobservatorium der Welt

Aktualisiert: 25. Aug. 2022

Mittelneolithikum | Die vor etwa 7.000 Jahren erbaute Kreisgrabenanlage von Goseck entstand im Mittelneolithikum (5.000 bis 4.500 v. Chr.) und befindet sich im heutigen Mitteldeutschland, genauer gesagt zwischen den Städten Weißenfels und Naumburg. Die Gemeinde Goseck an der Saale gehört zur Verbandsgemeinde Unstruttal im Burgenlandkreis des Landes Sachsen-Anhalt.

Die in der mittleren Jungsteinzeit errichtete Anlage wurde 1991 durch die Luftbild-Archäologie wiederentdeckt und anschließend, in den Jahren 2002 bis 2005 in 3 Grabungskampagnen systematisch freigelegt und die Befundlage vollständig dokumentiert. Sie gehört damit zu den am besten untersuchtesten und erforschtesten Ringgrabenanlagen überhaupt. Das vorgeschichtliche Erdwerk und heutige Bodendenkmal wurde mit ca. 30 cm dicken Eichenstämmen originalgetreu rekonstruiert und ist als Freiluftmuseum touristisch erschlossen und frei begehbar. Nicht nur das Alter und die Funktion der Anlage sind spektakulär, das einstige und bisher älteste bekannte und wiedererrichtete Sonnenobservatorium birgt weitaus größere Geheimnisse als allgemein bekannt. Aber erst einmal der Reihe nach.

Fakt ist, dass dieses an ursprünglicher Stelle erneuerte imposante Monument, zu den ältesten Überresten dieser sakralen Architektur in Europa zählt und ca. 2000 Jahre älter, als das weltweit bekanntere Steinmonument Stonehenge in England ist. Nach Erkenntnissen der heutigen Forschung handelt es sich somit um den frühesten bekannten Beleg einer steinzeitlichen Kultstätte mitten im Herzen Europas. Hier wurde demnach nicht nur der Lauf der Sonne bestimmt, sondern es gab an diesem, wohl heiligen Ort auch ein gesellschaftliches Leben mit Versammlungen und Ritualen, was anhand von Grabungsfunden schon belegt werden konnte. Das Alter des Komplexes konnte dabei , z.B. mit Hilfe zahlreicher Fundstücke, wie etwa bemusterter Tonscherben, Pfeilspitzen und geborgenen Tierknochen zweifelsfrei bestimmt werden. Im europäischen Raum existierten viele hundert weitere und ähnlich aufgebaute Anlagentypen, mehrheitlich mit astronomischem Bezug, jedoch scheinen diese allesamt jünger als die Kreisgrabenanlage von Goseck. Es bleibt somit vorerst der früheste archäologische Beleg für die systematische Himmelsbeobachtung durch den jungsteinzeitlichen Menschen.

Aufbau und Nutzung | Das Sonnenobservatorium Goseck besitzt eine doppelte, ca. zwei Meter hohe (ellipsenförmige) Palisadenumrandung mit drei Toren und hat in etwa einen Durchmesser von 75 Metern. Ein äußerer Wallgraben umschloss den Komplex großteils und sorgte dabei für die Drainage (Entwässerung) und Bodenverdichtung des Erdreiches im Inneren der hölzernen Anlage. Das kam vorrangig der Haltbarkeit der verbauten Eichenstämme zugute und wirkte etwaigen großen Bodenverschiebungen bzw. Deformationen der Gesamtanlage im Gelände weitestgehend entgegen. Strittig ist trotzdem, ob die Anlage ursprünglich kreisrund oder bewußt ellipsenförmig gebaut wurde. Auch das in nördliche Himmelsrichtung zeigende Haupttor, liegt heute etwas außerhalb der Flucht bzw. zeigt eine Abweichung in der Nord-Südachse des Komplexes..

Das Südosttor ermöglichte die Bestimmung, bzw. das exakte Anpeilen des Sonnenaufgangspunktes zur Wintersonnenwende am 21. Dezember, das Südwesttor war hingegen auf den Sonnenuntergangspunkt ausgerichtet. Auch die Sommersonnenwende und Frühlingstagnachtgleiche konnte im Steinzeit-Observatorium bestimmt werden. In den Eichenholzpalisaden der Kreisanlage gab es spezielle Aussparungen (Zeitmarken), durch die an bestimmten Tagen im Jahr die Sonnenstrahlen fiehlen. Dazu gehören z.B. der 9. April, der 1. Mai, der 1. August und der 4. September. An diesen Tagen versammelten sich die Menschen schon vor ca. 7.000 Jahren zu rituellen Festen und huldigten ihrer Fruchtbarkeitsreligion samt Schamanismus.

Die Menschen jener Zeit waren die Nachfahren etlicher Generationen von umherziehenden Jägern und Sammlern. Mit dem Sesshaft werden begann die Zeit des Ackerbaus und der Viehzucht. Nutzpflanzen, wie Getreide und die Domestizierung von Haustieren, wie z.B. Schafen, Rindern, Ziegen und Schweinen, sicherten fortan das Überleben. Als wohl erste Bauern Europas bestimmten die Jungsteinzeitler der Region rund 4.800 vor Christi ihre Saat- und Erntezeiten mithilfe des hölzernen Sonnentempels. Neueste Funde sprechen sogar dafür, dass Priester im Goseck`er Sonnenobservatorium wohl auch Menschen opferten, um eine gute Ernte und den Schutz der Götter zu sichern. Es ist das Vermächtnis einer Kultur, die älter als Ägyptens Pyramiden ist und von der noch immer vieles im Verborgenen liegt. Belegt ist auch, dass die Kreisgrabenanlage etwa 400 Jahre dauerhaft genutzt wurde und auch die Mondzyklen dabei eine wichtige Rolle spielten.


Kalender für die Ewigkeit | Die Krux unserer Tage ist (leider) die Schnelllebigkeit und der ständig einprasselnde Informationsfluss, meist unwichtiger oder nebensächlicher Dinge, durch die unsere Sicht auf das Offensichtliche und wirklich Wichtige im Leben immer mehr getrübt bzw. vernebelt wird. Vieles kann daher erst auf einen zweiten, genaueren Blick offenkundig werden. Wenn man sich die Zeit nimmt, sich interessehalber in das Themengebiet der Gosecker Kreisgrabenanlage einzulesen, offenbart sich dem Laien auf diesem Sachgebiet wirklich Erstaunliches.

Dinge, die für uns selbstverständlich erscheinen, fußen auf dem angesammelten Wissen längst vergangener Tage. Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten unsere Urahnen dabei besaßen, mit einfachsten Mitteln jener Zeit, ein so komplexes wie auch exaktes Sonne-Mond-Kalenderwerk zu konstruieren, lässt einen ehrfürchtig staunen.

Das wohl über Generationen mündlich, als wahrscheinlich auch in Form von Piktogrammen weitergegebene mathematische, geometrische und astronomische Grundwissen und Verständnis dieser schriftlosen Jungsteinzeitler, blieb uns zum Glück Jahrtausende überdauernd im Erdreich erhalten und konnte hier in Goseck wieder zu neuer Blüte auferstehen. Als Piktogramm bezeichnet man (von lateinisch pictum ‚gemalt', ‚Bild' und griechisch gráphein ‚schreiben') ein einzelnes Symbol, welches eine Information durch vereinfachte grafische Darstellung vermittelt. Es gibt mehrere bekannte Piktogrammformen aus der Vorzeit, die an unterschiedlichsten Fundorten in Stein gemeiselt oder als Höhlenmalereien wiederentdeckt wurden und deren Verständnis nicht abschließend geklärt ist. Wir benötigen unsere kindlich naive Neugier, die uns großteils verloren gegangen ist, um wieder Fragen zu stellen: Warum, Weshalb, Wieso, Wie ... ! Was dann bleibt, ist die Erkenntnis: Ich weiß, dass ich nichts weiß.

Was es mit der Ableitung eines astronomischen Kalenders in Goseck auf sich hat, möchte ich in einem weiteren Blogbeitrag demnächst genauer erörtern. Vorweg sei gesagt, mein Respekt gilt den Planern, Baumeistern und Genies jener Zeit, sowie den unermüdlichen und akribischen Forschern und Wissenschaftlern unserer Tage, die das alte Wissen wieder neu zutage bringen und Stück für Stück enträtseln!


Die eigentliche Sensation | Mit der Gosecker Kreisgrabenanlage schufen die jungsteinzeitlichen Urahnen einen Sonne-Mondkalender, der erstmalig in der Menschheitsgeschichte eine nachgewiesene Aufeinander Abstimmung des Sonnen- und Mondjahres mit ihren unterschiedlichen Lunationen erkennen lässt. Damit war es möglich, erstmalig auch den 365-Tage-Kreis eines Kalenderjahres zu definieren, so wie er heute noch bzw. wieder gilt.

Diese Fakten stammen aus einer Ausarbeitung von Thomas Lorenz. In „Die Zeitrechnung Alteuropas" erklärt und veranschaulicht er Grundlagen einer vorgeschichtlichen Zeitrechnung und vieles mehr.


Den Link zum frei zugänglichen PDF:


Kultur der Stichbandkeramik | Etwa einen Kilometer vom Sonnenobservatorium entfernt wurde fast zeitgleich mit der Rekonstruktion der Kreisgrabenanlage von Goseck eine alte Steinzeitsiedlung entdeckt. Beim Ausheben eines ca. 50 Meter langen und 1 Meter tiefen Suchgrabens, stießen Forscher der Universität Halle dabei auf die Überreste eines 7.000 Jahre alten Dorfes. Funde weisen auf die sogenannte Linienband-Kultur. Diese wurde nach den Verzierungen der Keramikgefäße dieser Menschen mit typischen, immer wiederkehrenden Linienmustern benannt. Aus der Linearbandkeramik entwickelte sich ca. um 4.900 v. Chr. die Stichbandkeramik. Der Übergang zwischen beiden Kulturen ist dabei fließend und keineswegs abrupt, dies kann man anhand der Tonwaren der späten Bandkeramik erkennen. Die Verzierungen deuten einen Wandel an, der in der stichbandkeramischen Kultur mündet. Deren Hauptverbreitungsgebiet war der heutige mitteldeutsche Raum und Böhmen. Wie schon in bandkeramischer Zeit wurde bevorzugt auf Lössböden in Gewässernähe gesiedelt.


Info | Im nahe gelegenen Schloss Goseck befindet sich ein Informationszentrum zum Sonnenobservatorium, welches zur Tourismusroute „"Himmelswege"“ gehört, die archäoastronomisch bedeutende Orte nahe Naumburg miteinander verbindet. Zu diesen Himmelswegen gehören darüber hinaus das Besucherzentrum Arche Nebra am Fundort der Himmelscheibe von Nebra, die originale Himmelsscheibe im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle sowie die sogenannte "Dolmengöttin" von Langeneichstädt.



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